Im Gespräch mit Sabrina Seeler

Tourismusakzeptanz an der Nordsee Schleswig-Holstein

Sabrina Seeler ist zum einen an der Fachhochschule Westküste in der Lehre im Studiengang International Tourism Management tätig, zum anderen ist sie Vorstandsmitglied im Deutschen Institut für Tourismusforschung. Sie leitet den Forschungsbereich der Einheimischenperspektiven im Tourismus. Dazu gehören unter anderem die Tourismusakzeptanzstudie sowie die daraus entstandenen Bereiche wie die Verbindungen von Tourismus mit Lebensqualität oder der Wohnortverbundenheit. Im Interview erzählt Sabrina von den verschiedenen Spannungsfeldern im Bereich der Tourismusakzeptanz, von Unterschieden zwischen Nord- und Ostsee und gibt Tipps, was einzelne Personen und Leistungsträger tun können.

Welche konkreten Herausforderungen gibt es an der Nordseeküste Schleswig-Holstein?

Die Region Nordsee ist divers durch ihre Inseln, Küstenorte und das Binnenland. An der Ostsee ist es zwar ähnlich, aber komprimierter. Studien haben gezeigt, dass Nord- und Ostsee grundsätzlich die gleichen Themen haben, sowohl positive als auch negative Effekte des Tourismus werden wahrgenommen.

"An der Nordsee ist jedoch die Identifikation mit dem Wohnort und eine entsprechende Verwurzelung stärker ausgeprägt, während sich an der Ostsee mehr Migrationsbewegung zeigt. Stolz, Gemeinschaften und Identifikation bringen Vorteile mit sich, weil die Menschen ihren Raum lieben, hegen und pflegen. Es birgt aber auch die Gefahr einer Stimmung gegen den Tourismus, weil Probleme anders gesehen werden."

Ein Beispiel ist Natur und Naturschutz: vereinzelt finden Events nicht mehr statt, um die umliegende Natur nicht zu belasten, was den zum Teil Frustration auslösenden Gedanken „hier ist nichts mehr los - das dürfen wir jetzt alles nicht mehr machen“ zur Folge haben kann. Gleichzeitig ist Naturschutz vielen Einheimischen sehr wichtig.

Laut Tourismusakzeptanzstudie gibt es an der Nordsee SH mehr Tourismus-Befürworter als -Gegner. Was im Vergleich zur Ostsee weniger vertreten ist, ist die neutrale Mitte: entweder die Menschen sind dafür oder dagegen. Aber diese Gegner sind oftmals nicht nur unzufrieden mit dem Tourismus vor der Haustür, sondern mit weiteren Bereichen des eigenen Lebens. Bei der Auswertung der Studienergebnisse muss dieser Aspekt mit beachtet werden. Auch eine Korrelation mit politischen Interessen oder die Wohnortdauer der Einheimischen kann eine Rolle spielen.

Die Frage ist:

Wo und wie kann die Gruppe der „Tourismus-Gegner“ abgeholt werden?

Grundsätzlich müssen alle Gruppen gleichermaßen bedient werden, in der Praxis bleiben die Befürworter und die neutrale Mitte oftmals auf der Strecke. Wie in der Schule: wer schlecht in einem Fach ist, bekommt Nachhilfe. Wer super in einem Fach ist, wird allerdings nicht so selbstverständlich darin gefördert. Ähnlich im Tourismus: 

"Wir gucken immer, wie kann man Probleme lösen? Aber wir gucken weniger, wie können wir Stärken stärken?"

Das ist vielleicht manchmal auch nicht die Aufgabe, aber es muss geschaut werden, wie die positiv Eingestellten ihre Stimmung weitertragen können.

Gruppendynamiken – z.B. in Vereinen – bewirken viel. Dazu wurde bei der Arbeit mit Fokusgruppen gezielt die DLRG und die Feuerwehr angesprochen, weil bspw. in St. Peter-Ording viele Einsätze unmittelbar mit dem Tourismus in Verbindung stehen. Ehrenamt und Freiwilligkeit sind wichtig, insbesondere in puncto Identifikation und Verbundenheit mit dem Wohnort. Wenn sich diese Personengruppen nach einem Einsatz untereinander austauschen, vielleicht mit Familie und Freunden darüber sprechen, können Dynamiken und ggf. Anti-Haltungen entstehen. Dieses Thema wird manchmal vergessen.

Eine Möglichkeit, solchen Dynamiken entgegenzuwirken, sind Wertschätzungs- und Sensibilisierungskampagnen. Auch Fokusgruppengespräche und Befragungen zeigten bereits Wirkung: es kommen E-Mails von Personen, die sich dafür bedanken, dass man mit ihnen gesprochen hat. Auch ein Gruppengespräch mit Kommunalpolitikern entwickelte sich in der Vergangenheit zu einem konstruktiven Austausch. Solch einen Austausch müsste man etablieren, man muss zuhören.

Betrachtung von der anderen Seite:

Was können einzelne Betriebe und Leistungsträger tun?

Auch hier geht es um den Austausch, z.B. bei einem Stammtisch unter Hoteliers.

"Natürlich sind diese in gewisser Weise Konkurrenten, aber im Dialog wird oft festgestellt „du siehst das ja wie ich“ oder „ich dachte immer, das ist nur bei mir so“. Das macht eine Sache nicht unbedingt besser, aber mit dem Wissen, dass es anderen auch so geht, und mit einem entsprechenden Verständnis entsteht ein wertvoller Austausch."

Dialogplattformen müssen jedoch so gestaltet sein, dass sie zu händeln sind. Das kostet Zeit und die ist insbesondere während der Saison im Tourismus Mangelware. Es braucht Geschick, aber Stammtische, Round Tables oder Zusammenschlüsse sind eine gute Sache.

Eine weitere Möglichkeit ist, Formate und Angebote, die eigentlich für Gäste vorgesehen sind, auch für Einheimische zu öffnen. Veranstaltungen in Hotels oder Restaurants mit einer niedrigen Eintrittsbarriere zu schaffen, sprich kostenlos oder zu einem kleinen Eintrittspreis. Natürlich können Einheimische einfach so das Restaurant eines Hotels besuchen, das geschieht aber oftmals nicht, da der Raum aus Sicht der Einheimischen für Gäste vorgesehen bzw. an deren Bedürfnissen ausgerichtet ist – aber mit einem Event werden sie konkret angesprochen und eingeladen. Das suggeriert, hier wird nicht nur Geld in die eigene Tasche gesteckt, sondern auch ein Angebot für Einheimische geschaffen.

"Und wenn dann kaum jemand Einheimisches kommt, kann man dennoch sagen: die Tür war offen, durchgehen musst du schon selbst. Dieses Verständnis kommt langsam, dass ein Betrieb die Tür aufmachen muss: es muss für alle möglich sein, durchzugehen."

So kann die Integration von Einheimischen gelingen, auch über die Ortsgrenzen hinaus. Man ist schließlich auch einheimisch in seiner Region, nicht nur in seinem Wohnort. Was kann z.B. jemand von Sylt in Husum erleben? Wichtig ist das Gefühl: es wird nicht alles nur an Urlaubsgästen orientiert.

Auch braucht es eine Möglichkeit der Interaktion unter Einheimischen, Gästen und Betrieben. In anderen Regionen gibt es z.B. Projekte und Ideenwettbewerbe, bei denen Einheimische und Gäste mitwirken oder abstimmen können. Folgende Beispiele von Initiativen und Aktionen im Bereich Tourismusakzeptanz hat Sabrina Seeler genannt:

Leitfaden Tourismusakzeptanz

In diesem Jahr wurde der „Leitfaden Akzeptanz“ vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr, Technologie und Tourismus gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Tourismusforschung (DI Tourismusforschung, FH Westküste) herausgegeben. Im Rahmen von Bevölkerungsbefragungen, unter anderem an der Nordsee Schleswig-Holstein, wird die einheimische Bevölkerung fünf Clustern zugeordnet und detailliert beschrieben.

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Warum Sie sich den Leitfaden ansehen sollten?

Der Leitfaden bietet mit seinen definierten Personengruppen im Einheimischenmarkt eine gute Möglichkeit, verschiedene Zielgruppen zu verstehen. Welche Dinge sind ihnen wichtig? Außerdem sind zahlreiche Best Practices aus Schleswig-Holstein, deutschlandweit und aus anderen Branchen aufgeführt. Maßnahmen im Bereich der Tourismusakzeptanz werden dargestellt und können Betrieben als Inspiration dienen, diese für sich selbst herunterzubrechen. Folgende Fragen können hierbei unterstützen:

  • An welche Maßnahmen kann ich anknüpfen?
  • Wo sehe ich mich selbst als Einzelperson? Wo sehe ich meine Nachbarn oder meine Familie?
  • Was finde ich vielleicht selbst gut, was weniger gut?
  • Was kann ich in die Hand nehmen?

"Wir lernen und verstehen besser durch Beispiele – hier ist der Leitfaden ein großer Mehrwert. Im Dokument kann ich mich fortbewegen, über Links direkt zu den Best Practices gelangen."

Insbesondere kleinere Betriebe haben oft aus Kapazitätsgründen kaum Zeit bzw. die Möglichkeiten, sich von anderen Ebenen inspirieren zu lassen. Oftmals wird höchstens bis zum Nachbarbetrieb geschaut. Durch die Beispiele im Leitfaden kann diese Barriere durchbrochen werden. Im besten Fall kommt man sogar in Kontakt mit anderen Betrieben oder Organisationen und kann sich dort etwas abschauen – ohne, dass es um ein Konkurrenzprodukt geht. Es wird schließlich nicht um den Gast konkurriert, sondern in gemeinsamem Interesse auf die Einheimischen geschaut. Das Interesse, gerade dort Impulse zu teilen, sollte viel höher sein, denn es wird überall das gleiche Ziel verfolgt: wir müssen es schaffen, dass der Tourismus bei Einheimischen eine positive Konnotation erhält, auch unter Beachtung des Fachkräftemangels, der Willkommenskultur oder der Politik.

Weitere Informationen über Sabrina Seeler und ihre Arbeit gibt es hier: Dr. (AUT) Sabrina Seeler - FH Westküste (di-tourismusforschung.de)

© Wolfgang Diederich

Alles rund um die Tourismusakzeptanz

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